Die dunkelbraune Erde unter unseren Rädern verströmt eine rohe Kraft, gleichermassen ausgemergelt und zäh, reglos, aber unmerklich pulsierend wie ein Tier in Lauerstellung, und eine flirrende Unruhe durchströmt mich, trotz der eigentlichen Ödnis da draussen, des sich seit zwei Tagen kaum verändernden Landschaftsbildes. Der vor uns fahrende Unimog hüllt sich komplett in eine gelbe Staubwolke, die er hinter sich herzieht wie einen Kokon. Ich weiss nicht so richtig wohin mit meiner überschüssigen Energie, es gibt im Moment nichts zu tun und auch nichts zu reden. Sundance lenkt konzentriert und ist ganz in den monotonen Schaukelrhythmus der Piste versunken; einen Rhythmus, der keine Worte braucht. Also fotografiere ich durch das Fenster, schiesse lauter Bilder, die sich gleichen, eine braune, gewellte, mit spitzen schwarzen Steinen übersäte Mondlandschaft vor einem endlosen Himmel in einem so verwaschenen Blau, als hätte das Sonnenlicht selbst ihn gebleicht.
So geht das stundenlang, der Rhythmus wird nur gebrochen, wenn wie aus dem Nichts eine schwarz verhüllte Nomadin mit ihrem Kind auf dem Arm am Pistenrand auftaucht und wir anhalten, um sie mit den mitgebrachten Kleidern einzudecken. Michael, der einen kleinen tragbaren Drucker mitgenommen hat, zückt manchmal seinen Fotoapparat und erstellt Portraits für die Familien. Ein hochaufgeschossenes Mädchen mit wachen Augen erschrickt, als er den Auslöser betätigt, und verharrt mit sorgenvoll umwölkter Stirn neben dem Unimog, nimmt den Ausdruck mit spitzen Fingern entgegen, schaut sich das seltsame Papier an, und dann kommt Leben in sein Gesicht, der Mund kräuselt sich zu einem lautlosen O, und als ich mit einem bunten Schal winke, den ich in meiner Klamottenkiste gefunden habe, hat sich seine Körperhaltung komplett gewandelt, hüpft es mir mit blitzenden Augen entgegen und nimmt mir das Tuch mit einer eleganten Handbewegung ab.
Die Piste reduziert uns auf einige wenige Handgriffe – lenken, schalten, Luft aus den Reifen lassen und wieder auffüllen – und auf einen vorausschauenden Blick. Mit jedem Versuch, eine steile Anhöhe zu erklimmen, uns durch den weichen Sand einer Düne vorzuarbeiten, werden die Bewegungsabläufe ruhiger, unaufgeregter, mechanischer. Es ist für mich eine neue Art zu reisen, diese pragmatische Art, mit Hindernissen fertigzuwerden, dieses oft wortlose und wertfreie Aufnehmen von gemächlich vorbeiziehenden Eindrücken. Ich versuche, darüber nachzudenken, ob mir das wirklich liegt, tage-, wochen-, monatelang, und stelle fest, dass mir das Denken auf der Piste schwer fällt. Schlaglöcher und Unebenheiten lassen meine Gedanken durcheinanderpurzeln, kaum habe ich einen zu fassen bekommen. Es ist aber durchaus kein schlechtes Gefühl, so im Moment verhaftet zu sein, ohne einzuordnen, auszuwerten, abzuhaken.
Und dann, hinter einem Hügel, der nicht anders aussieht als alle anderen davor, bläst ein Meer aus Palmen zum Angriff auf unsere Netzhaut. Wir sind im ersten Moment richtig schockiert über das viele Grün, waren nicht darauf gefasst, hier und jetzt auf eine Oase zu treffen, auf eine so grosse. Wir sind in der Wüstenstadt Zagora. In der Innenstadt weicht der metallische Geruch von Sand und staubiger Erde einem Potpourri aus Gewürzen, Diesel und brennendem Plastik. Das Gewusel auf dem Markt, die kleinen, bis unter’s Dach vollgestopften Krämerläden, das übersteuerte Schnarren der Muezzins aus scheppernden Lautsprechern – diese Melange ist mir aus Indien so vertraut, dass sich hier, mitten in der Sahara, ein wohliges, anheimelndes Gefühl in mir ausbreitet.
Ein kräftiger, wettergegerbter Jugendlicher auf einem Eselskarren spricht mich an, und seine glockenhelle Stimme steht seltsam im Kontrast zu seiner Erscheinung. Er steckt mir ein aus einem Palmenblatt geflochtenes Fabeltier zu und will als Gegenleistung Bonbons, einige Dirhams oder wenigstens ein Bisous, aber sein Eselchen, das ein Gesicht macht, als würde es von keinem Menschen auf der Welt geliebt, macht ihm einen Strich durch die Rechnung und brennt durch. Der Junge hat alle Hände voll damit zu tun, den rumpelnden Karren um den nächsten Graben herumzumanövrieren. Die Gegenleistung ist vergessen.
Hier in Zagora werden wir nun, nach einer Woche Trekking durch die Sahara, einige Tage verbringen, Schwarztee mit Thymian (der so bitter ist, dass er ungesüsst nicht geniessbar ist) trinken und Datteln direkt von der Palme essen, uns Schmuck andrehen lassen, der wahrscheinlich nicht aus Silber ist, und in der Laiterie süssen, dickflüssigen Jus d’Avocat trinken, bevor es übermorgen wieder zurückgeht in den Bauch der Wüste, wo Janis uns weitertragen wird über Stock und Stein, Inschallah.
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Routenverlauf bisher: Tanger, Azrou, Imilchil, Erg Chebbi, Merzouga, Zagora
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Mobile Tankstelle: Ein liegengebliebenes Motorrad zapft bei uns etwas Sprit ab
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Nichts für schwache Nerven: Auf dem Fleischmarkt
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Süsse Früchtchen!
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Janis in klein und aus Palmholz